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Schließlich verging die Zeit, es wurde Sommer. Ich stresste immer noch, weil mir immer noch niemand begreiflich machen konnte, dass es falsch war, zu stressen. Auch wenn Lord Satan alle Möglichkeiten ausspielte, mich von meinem Stresstrip runterzukriegen, aber er hatte einen "Fehler" begangen: Er hatte mir eine neue Aufgabe gegeben, nachdem ich seiner Order, zur Ruhe zu kommen endlich "unfreiwillig" Folge geleistet hatte. Seine neue Aufgabe hieß:

"Du sollst Dich treiben lassen."

Bitte? Bahnhof (wie immer)! Aufgabe? Es konnte nur Stress (Konzentration, Hineinsteigern) bedeuten! Also los!!!

Eine andere Möglichkeit, als mir eine "Aufgabe" oder einen "Befehl" zu geben, hatte Lord Satan nicht, da ich nichts mehr anderes akzeptierte. Ich kümmerte mich um seine Sprüche nur noch, wenn sie mit dem Zusatz "Befehl" ausgestattet waren. Aber unter "Befehl" verstand ich nach wie vor Kasteiung, Leistung, "das Beste" geben. So auch diesmal. Die Renate blickte nun langsam durch, dass ich auf einen üblen Wahn geraten war; der Wahn dabei ist in erster Linie nicht, an Lord Satan zu glauben, zu glauben, dass ich mit ihm redete, zu glauben, was er sagte, oder darauf zu hören. Der Wahn bestand einfach darin, dass ich, so wie ich es geträumt hatte, im Februar einen "seelischen Schock" erlitten haben musste und durch irgendeine unglückliche, psychologische Fehlreaktion auf einen katastrophalen Irrweg meiner Denkweise geraten war. Wenn ich von heute aus die Sache so im Nachhinein bedenke, muss ich zugeben, dass sich sowohl Renate, als auch Lord Satan mit großer Mühe darum gekümmert haben, mich von meinem Wahn herunterzukriegen. Dabei hatte die Renate wenig Chancen, weil ich sie für ziemlich doof hielt und der Lord Satan hatte nicht besonders mehr Chancen als die Renate, weil ich den Lord Satan für genau das Gegenteil hielt, nämlich für die Überintelligenz personifiziert, der um jeden Preis zu gehorchen wäre. Da meine Nerven bei der Gehorcherei nicht mehr mitmachten, gehorchte ich nur noch das Nötigste, eben das mit dem Zusatz "Befehl" behaftet war. Dies wiederum belastete mein Gewissen dermaßen, weil ich es für eine "Sünde" hielt, nicht zu gehorchen und nicht reinzuschleimen. Je mehr mein Gewissen belastet war, desto mehr hielt ich es für nötig, zu stressen und dies wiederum griff meine Nerven bis zur Substanz an.

Weder Renate, noch Lord Satan konnten mit ihren Argumenten durch diese Schale des Wahnsinns dringen.

So versuchte ich also, Lord Satans Aufgabe des Treibenlassens zu erledigen, was mir sehr zuwider war, denn langsam hatte ich die Schnauze voll von irgendwelchen Aufgaben. Dies wagte ich mir jedoch kaum einzugestehen, da ich meines Erachtens nach dann die ganze Lord-Satan-Sache hätte schmeißen können. Ich konzentrierte mich also anfänglich wieder in vollem Umfang, da ich aus der Sache der "Ruhe" keinen Deut gelernt hatte. Dazu noch kam der Umstand, dass ich unter "treiben lassen" wirklich überhaupt nichts verstand, noch viel weniger, als unter Ruhe. Wenn mir "Liebe" und "Ruhe" zumindest noch am Anfang ein Begriff waren, so konnte ich mir absolut nichts darunter vorstellen, was "treiben lassen" zu bedeuten hat. Daher kam es, dass ich begann, meine Logik einzusetzen, so dass ich krampfhaft darüber nachdachte, was denn "treiben lassen" sein könnte.

Resultate meiner Überlegungen waren mehrere: Unter "treiben lassen" konnte man verstehen, wie ein Penner in den Tag hineinzuleben und sich um nichts zu kümmern. Man hätte sich auch via Konzentration in eine Art Schlafzustand versetzen können und sich auf einer imaginären Wolke vom Wind hin und her treiben lassen können. Wenn einer in einem Boot sitzt und er sich treiben lassen sollte, so ließ er eben die Ruder los und musste in seinem Boot schwimmen, wohin ihn die Strömung trug. Es hätte aber auch sein können, dass damit gemeint war, nichts zu tun, oder einfach das zu tun, was sich ergibt. Wie dem auch sei, kam ich auf keinen zufriedenstellenden Schluss. Soviele Möglichkeiten des "Treiben-lassens" ich fand, so waren sie mir doch alle zuwider, sie zu tun, denn ich wollte eigentlich etwas leisten, mich zu etwas zwingen und danach einen Erfolg verzeichnen. Ich wollte "Karriere machen" bei Lord Satan. Mit "treiben lassen" konnte man solche Ziele nicht erreichen.

Das "treiben lassen" widerte mich an, in welcher Form auch immer. Nachdem ich durch Überlegung auf keinen für mich akzeptablen Schluss gekommen war, versuchte ich wieder, mich auf die abstrakt erscheinende Aufgabe zu konzentrieren und irgendwas daher zu stressen. Lord Satan aber hatte die Nase voll von meiner Stresserei. Üble Streite hat es da gegeben zwischen ihm und mir.

Ich schwankte dahin zwischen Konzentration und Stresserei, dem darauffolgenden Gestreite und Gerüffel und einem Zustand der Resignation, in dem ich mich zwang, mich um nichts mehr zu kümmern. Offensichtlich machte ich alles falsch, also hatte es keinen Sinn, etwas zu machen. Dagegen stand, dass Lord Satan im Februar die These aufgestellt hatte, dass ich nichts falsch machen konnte und ich überlegte, wie denn all das zusammenpassen soll?

Machte ich doch alles richtig? Kaum! Hatte denn Lord Satan eine Lüge damit in die Welt gesetzt? Er, der mich immer wieder zur Wahrheit ermahnte? Er, der die Wahrheit doch anscheinend so liebte? Oder war er womöglich tatsächlich "der Böse", der alle auslinkt, so wie es viele Menschen glauben? Nichts - aber auch gar nichts hatte ich, woran ich mich orientieren konnte. Kein Buch gab es, in dem ich über Lord Satan etwas nachlesen konnte, keinen Menschen kannte ich, der mir etwas über Lord Satan erzählen konnte. Es gab nur eine Menge doofer Christen aller Varianten, die über Lord Satan etwas zu sagen hatten, aber ihre Aussagen wollte ich nicht glauben. Demnach wäre ja ich das Opfer gewesen, das nun in Lord Satans üblem Netz gefangen war, von Gott verflucht und verdammt in Lord Satans Gefüge einer Art Hölle. Sollten all diese Christen vielleicht wirklich Recht haben, indem sie vor dem Lord Satan, als dem Bösen schlechthin, warnten? War er wirklich diese Übersau, die die Menschen ins Unglück stürzte?

Dabei hatte ich immer gedacht, dass wohl selbst die größte Drecksau für denjenigen, der ihm huldigt und dient auch etwas Gutes übrig hatte. Hatten doch alle menschlichen Drecksäue auch ihre Lieblinge, denen sie "Gutes" erwiesen: Jeder Gangsterboss hatte seinen Lieblingsgangster, und auch wenn der Boss diesen und jenen umbrachte, so hatte er doch von seiner Beute etwas übrig für seinen Lieblingsgangster, der damit von seinem Boss "Gutes" empfing, so lang er immer schön gehorchte und auch dem Boss die nötige Ehre erwies. Jeder Zuhälter hatte seine Lieblingsnutte, die er den anderen vorzog, die er vielleicht weniger brutal schlug, als seine anderen Mädels. Einfach deshalb, weil sich eben die Lieblingsnutte bei ihrem Loddl dementsprechend einschmeichelte, ihms besonders gut machte, ihm den Geschäftserlös ehrlich ablieferte, ihm brachte, was er wollte und sich nicht gegen ihn aufmotzte. Es konnte doch nicht möglich sein, dass einer so schlecht war, selbst denjenigen, der ihm diente und ihm gehorchte, genauso mies zu behandeln, wie alle anderen. Konnte es sein, dass Lord Satan tatsächlich so schlecht war, wie die Christen behaupten und es ihm scheißegal war, was ihm einer brachte und was nicht, sondern einfach alle Leute ohne Unterschied auslinkte und unglücklich machte - konnte einer tatsächlich so böse sein? Wozu?

Alles in allem brachten mir diese Überlegungen nichts, weil ich von Lord Satan um keinen Preis lassen wollte. Wenn o.g. Gedankengänge von der "großen Drecksau" auch gestimmt hätten, so wusste ich doch, dass ich auch unter diesen Umständen nicht bereit war, Lord Satan von mir zu weisen. Also schob ich diese Gedanken wieder ins Hinterstübchen, da sie nichts zu der Sache beitrugen und widmete mich wieder meiner Aufgabe, mich "treiben zu lassen".

Weil ich damit nicht zurecht kam, wendete ich mich an Renate, dass sie doch ihre Meinung dazu sagen sollte, was sie unter "Treiben lassen" verstünde. Renate und ich diskutierten, kamen aber - wie immer - auf keinen Nenner.

Ich diskutierte mit Lord Satan über die Sache, kam aber auch da nur langsam weiter. Session für Session erklärte Lord Satan, was er von mir verlangte und Stück für Stück war es Millimeterarbeit, mir wenigstens etwas begreiflich zu machen.

Unmengen von Gedanken und Gesprächen mit Renate oder Lord Satan vergingen, Unmengen Zeit verliefen, ohne dass ich die Aufgabe lösen und erledigen hätte können. Ich litt darunter ungemein. Dann aber rechnete ich mir aus, dass ich für die Aufgabe der "Ruhe" 3 Monate gebraucht hatte und ich tröstete mich damit, dass ich dann wohl auch für die Aufgabe des "Treiben-lassens" 3 Monate brauchen würde. Da ich instinktiv wusste, dass alles mit Ausrechnerei und Mathematik nichts zu tun hatte, dass es also völlig unabhängig von Zahlen und Zeit war, beruhigte mich diese Logik wenig und ich stresste zusammen, was ich konnte und machte mich unheimlich fertig.

RAFA, 1987

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