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Jetzt bin ich zwar ein Satanist und man sollte eigentlich meinen, ich glaub an den Satan - aber das ist falsch. (Wer wissen will, was ich unter "Satan" verstehe und warum ich mich "Satanist" nenne, der lese hier weiter.)

Ich wurde atheistisch erzogen. Als ich begann, mich für Religion zu interessieren, lachte mich meine Mutter aus und vermittelte mir in ganzem Umfang ihre Besorgnis, ich sei psychisch krank. Vielleicht hat mich der mütterliche Atheismus so sehr geprägt, dass ich es bis heute nie zustande brachte, tatsächlich an irgendeine, nicht auf Materie basierende Religion zu glauben. Ich hoffe nur darauf: Es wär so unendlich schön und es gäbe allem Möglichen so einen herrlichen, tiefen Sinn.

Ich denke, mit letztem Satz drücke ich ein allgemeingültiges Phänomen aus: Alle Menschen denken wohl im Grunde so.

Falls hier nun ein Mensch vorbei kommt, der sich (tief im Grunde) nicht bereichert fühlen würde, bekäme er einen stichhaltigen, empirischen Beweis für die Existenz eines oder mehrerer Götter, für ein von überirdischen Mächten gelenktes Schicksal, für spirituelle Geschehnisse oder ein Weiterleben der Seele nach dem Tod, dann möge er mir von seiner Existenz bitte mailen. Ich denke nämlich, so jemanden gibt es nicht.

Diesen archaischen Wunsch der Menschheit halte ich verantwortlich für all die entsprechenden Religionen und Philosophien, die es so gibt. Ich dagegen glaube nicht wirklich, dass es so etwas gibt. Ich wünsche es mir von ganzen Herzen und weil es so wunderschön ist, lebe ich auch so, als gäbe es das - aber im Grunde glaube ich es nicht.

Nun reagiere ich seit jeher sehr wütend, treffe ich auf Gläubige. Je massiver und naiver sie ihren Glauben vertreten, desto wütender werde ich.

Ich habe mich gefragt, warum mich die naiven Glaubensinhalte anderer Leute gar so wütend machen. Von Christen habe ich natürlich gehört, das sei der Satan in mir, der sich gegen die "wahre Lehre von Jesus" auflehnt oder derartiges, aber das ist nicht richtig: Ich werde deswegen so wütend, weil ich trotz allen Unglaubens noch immer nicht wirklich wahrhaben will, dass es dieses schöne Spielzeug "Götter" nicht gibt. Ich werde allein vor Neid so wütend, vor Neid auf die Glaubensfähigkeit solcher Kindsköpfe!

Ich stecke tatsächlich immer noch in der Mitte, habe mich für noch nichts endgültig entschieden: An bestimmte, religiöse Geschichten kann ich einfach nicht glauben, zu sehr stinkt mir das nach Wunschvorstellung und zu erschlagend sind die Beweise des Materialismus - an diesen mag ich aber nicht glauben, weil er mir die Hoffnung auf mein geliebtes Spielzeug "Götter" rauben würde, und das will ich einfach nicht hergeben. Die Entscheidung ist also (noch) nicht gefällt und daher befinde ich mich in einem Spannungszustand, der jedesmal eine Menge (wütender) Energie entlädt, konfrontiert man mich mit dieser noch ausstehenden Entscheidung und ihren von mir noch unakzeptierten Konsequenzen.

Argumente

Damit das auch Christen nachempfinden können, erkläre ich's anhand des Buddhismus: Ich lese nämlich gerade das "tibetische Totenbuch" (neu übersetzt und kommentiert von Robert F. Thurman, ISBN 3-596-15150-3) und rege mich wieder mal fürchterlich auf über diese dümmlichen Glaubens-Axiome und die Scheuklappen-Argumente.

Der Neid

Der Autor echauffiert sich darüber, dass sich Materialisten über den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod lustig machen, weil sie sich bereits ewige Ruhe garantiert haben, während der brave Buddhist noch fleißig meditieren und sich manch weltlicher Freude enthalten muss, um mühselig sein Nirvana zu erreichen.

Zitat aus dem tibetischen Totenbuch:

Auf sie [die Materialisten] wartet ja garantiertes Nichts, das ohne die geringste Mühe ihrerseits erreicht wird, ohne ethische Opfer, ohne Erkenntnis, ohne irgendeine Fähigkeit oder ein Wissen erwerben zu müssen. Sie brauchen bloß einzuschlafen - eine Fähigkeit, die sie schon in Tausenden von Nächten unter Beweis gestellt haben.

Daraus spricht doch aber auch nur der Neid auf das, was man vermisst. So wie ich den Gläubigen die Seligkeit des Glaubens neide, so neidet dieser Buddhist den Materialisten das genüssliche Leben: Die Materialisten machen sich ein schönes Leben, die Gläubigen karpfen sich ab. Sie sind deswegen natürlich reichlich wütend auf die "faulen" Materialisten.

Provokation

Was aber gibt ihnen die Garantie, dass nach dem Tod ein erholsames Nichts auf sie wartet? ... Sie haben niemals irgendein materielles Ding zu Nichts werden sehen. Was lässt die Materialisten so hartnäckig an das Nichts gerade dieses einen Energiekontinuums (der Seele) glauben? ... Es ist lediglich ein auf kühner Behauptung basierender Glaube, bestätigt von vielen Glaubensgenossen, ohne die Spur eines Beweises, verstärkt durch dauernde Wiederholung und dogmatisches Insistieren. Er vermittelt endgültige Beruhigung und befriedigt den religiösen Drang, ein geschlossenes Bild von der Wirklichkeit zu besitzen.

Ach je, das ist wieder mal so ein typisches Pamphlet, das sich der gläubige Autor selbst wohl schon oft hat vorwerfen lassen müssen, so dass er nun den Spieß einfach umdreht: getroffene Hunde bellen.

Welcher "Glaube": Glaube, Wissen oder Zweifel?

Der Materialismus ist ein Glaube, zugegeben: Ich glaube, dass morgen das Wetter schön wird und ich glaube, dass es nichts von Materie Unabhängiges gibt, weil ich für beide Glaubensannahmen eine Reihe Anzeichen habe, die mir diese Annahmen wahrscheinlich und plausibel erscheinen lassen. Wie gesagt: Ich glaube das, ich weiß das nicht.

Das ist aber keine Sorte des Glaubens religiöser Art. Der Religiöse versteht unter "Glauben": oft sogar wider besseren Wissens an einem Axiom festhalten.

Zugegeben: Es gibt auch beinharte Materialisten, die auf diese Art religiösen Glaubens am Materialismus festhalten. Aber ich bin einer, der das leider wirklich glaubt: Ich halte den Materialismus leider, leider für so wahrscheinlich und plausibel, dass er den Anschein macht, wohl leider, leider den Tatsachen zu entsprechen.

Ich wünschte, es wäre anders.
Das heißt, ich wünschte, der Materialismus wäre falsch oder ich wünschte wenigstens, ich wär so leichtgläubig und könnte an die Inhalte einer Religion glauben.

Es stimmt auch nicht, dass ich mir das erst von materialistischen "Glaubensgenossen" andauernd dogmatisch vorsagen lassen müsste, sondern ich treibe mich ja absichtlich in religiösen Kreisen herum, um den Glauben an den Materialismus möglichst zu verdrängen. Allein, es gelingt mir nicht: Ich halte ihn einfach für die Wahrheit. Voller Sehnsucht auf die Wahrheit religiöser Inhalte gebe ich nur (noch) nicht auf, nach Beweisen für diese zu suchen und den Materialismus endlich verwerfen zu können. Wie gesagt: so beinharter Realist bin ich einfach (noch) nicht, der religiöse Wunschtraum ist einfach zu schön, ich mag nicht davon ablassen.

Darum ärgern mich solche Menschen, die ihre Glaubensinhalte so felsenfest vertreten: Sie machen den Anschein, als würden sie die Kunst des religiösen Glaubens wirklich beherrschen, als würden sie ihre religiösen Systeme wirklich für Tatsache halten und ich neide ihnen ihre Freude daran, die ich doch auch so gern hätte.

Beweise

Für seinen Glauben an die Reinkarnation will der Autor "so viele Beweise" finden und zählt alles mögliche auf, das man meiner Meinung nach aber mindestens ebensogut mit medizinischen und psychologischen Erklärungen beantworten kann. Tja, mit "Beweisen" ist das so eine Sache...

Wie oft dachte ich schon, wenn ich verliebt war: "Er liebt mich auch! Ganz sicher!" Sah er in meine Richtung, war mir klar: "Er sah auf mich, weil er mich auch liebt!" Das war aber definitiv falsch, denn lange Zeit nachher war mir klar geworden: Er liebte mich tatsächlich zu keiner Zeit, nur meine eigene Sehnsucht nach seiner Liebe ließ mich das meinen und sein Verhalten so interpretieren.

Wie sehr aber liebt man erst sich selbst! Kein Wunder, dass so viele Menschen so viele "Beweise" ihrer Unsterblichkeit zu erkennen meinen. Warum sollte man auch nur einem dieser "Beweise" vertrauen? Strotzen sie doch schier vor Wunschvorstellung.

Angst

Kein geistig gesunder Mensch hat Angst vor Nichts ... was wir jedoch fürchten und vernünftigerweise auch fürchten sollen, sind Schmerz und Leiden.

Nun meint der Mann, die Materialisten hätten vor dem Jenseits-Schmerz der Wiedergeburt so viel Angst, dass sie das Ganze verdrängen. Sonst müssten sie gar die Mühen des Buddhismus auf sich nehmen und ihr Leben ändern. Weil sie dies nicht wollen, verdrängen sie die Angst vor dem Jenseits-Schmerz, die sich dann aber durchs Hintertürchen "Angst vor dem Tod" wieder einschleicht. Vor dem Tod bräuchte man ja - frei nach Epikur - keine Angst haben.

Ich fürchte mich ganz gewaltig vor dem Nichtsein! Da bin ich wie ein kleines Kind. Das fürchtet sich sogar vor dem Schlaf! Es schreit und brüllt, wenn es ins Bett soll, dabei kann es sich sogar sicher sein, dass es doch am nächsten Tag wieder aufwacht und sein geliebtes Spiel weiter treiben kann. So will auch ich die Schönheiten und den Genuss meines Lebens nicht aufgeben und habe große Angst, dass ich das alles verliere, was mir so gut gefällt. Freilich weiß ich auch von Vernunft her, dass ich dann tot bin und ja nichts mehr mit kriege - ich agiere aber nicht aus Vernunft, sondern aus purem Wollen.

Der kleine Preis fürs Paradies

Beliebtes Argument der Gläubigen ist auch, dass es keine große Mühe machen würde, im Sinn ihrer Religion ein guter Mensch zu sein. Man müsste sich nur dies&jenen Genuss verzwicken und diese&jene Mühe auf sich nehmen - im Grunde nicht viel.

Aber doch: Ich bin keine Spielernatur und investiere keinen Cent in Tauben auf dem Dach. Dazu glaube ich einfach zu wenig an solche Geschichten, als dass es mir die Mühe wert wäre, dafür auch noch etwas zu tun.


Ich denke, dieser kleine Ausschnitt an Argumenten reicht, um klar zu machen: Mein Glaube an den Materialismus ist echt und keine Ausgeburt von Schwäche, Faulheit oder Angst. Um vor Neid auf eure Glaubensseligkeit nicht zu zerplatzen, greife ich nun wieder zurück auf meine glaubenslose Religionsausübung aus purer Lust: Es ist doch so wunderschön, religiös zu sein. Ich gönne mir diesen Genuss ganz bewusst und raube mir die Seligkeit, ich bin ja auch Satanist.



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