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Als ich neulich spät des Nachts nach Hause kam, entdeckte ich 2 Ratten im Hinterhof. Sie waren offenbar in einen derben Streit geraten und die eine Ratte schrie die andere gerade an: "So ein Blödsinn: Das ist eindeutig aus der Perspektive von uns Ratten beschrieben, niemals hat dieses Buch der Mensch verfasst! Wenn er tatsächlich die Kanalisation erschaffen hat, dann hat er doch eine ganz andere Sichtweise und hätte doch auch von der Kläranlage erzählt." Neugierig geworden, trat ich näher. Da bemerkten mich die beiden Ratten, ließen vor Schreck das Buch fallen und flohen in die Kanalisation. Ich ging hin, nahm das Buch und las:

1. Ratte 1

  1. Am Anfang schuf der Mensch die Kanalisation und die Gullideckel.
  2. Und die Kanalisation war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe und der Mensch lief über den Gullideckeln herum.
  3. Und der Mensch sprach: Es werde Abwasser! Und es ward Abwasser.
  4. Und der Mensch sah, dass es gut war.
  5. Und der Mensch sprach: Es werden Gänge und Abzweigungen in der Kanalisation, Rohre und Nischen, die da scheiden das Abwasser von den Trockenstellen.
  6. Und der Mensch nannte das Trockene: Ratten-Nest
  7. Und der Mensch sprach: Es sammle sich der Müll und Schlacke an bestimmte Stellen.
  8. Und es ward also.
  9. Da ließ der Mensch aufgehen Kakerlaken und Gewürm und allerlei Gewimmel.
  10. Und der Mensch sah, dass es gut war.
  11. Da sprach der Mensch: Lasset uns Ratten machen, ein Getier, das uns gleich sei.
  12. Und der Mensch machte die Ratte und sprach zu ihr: Von allerlei Kakerlaken und Gewimmel darfst du essen, aber gehe mir nicht über die Gullideckel hinauf! Des Tages, du darüber gehest, sollst du des Todes sterben.

Pfotenschriftliche Notizen waren an den Rand der Buchseite vermerkt, darauf stand: Prof. Dr. Ratzifatz fand bei Ausgrabungen letztes Jahr einen Gummistiefel im Rohr. Dieser Gummistiefel stammt vom Menschen! Damit ist bewiesen, dass die Kanalisation tatsächlich vom Menschen erschaffen wurde.

1. Ratte 2

  1. Und der Hund war listiger als alles Getier, das der Mensch gemacht hatte und er sprach zu der Ratte: hat der Mensch wirklich gesagt, ihr sollt nicht aus dem Gullideckel krabbeln?
  2. Und die Ratte sprach zu dem Hund: von allen Kakerlaken und Würmern und Abfall essen wir,
  3. aber über den Gullideckel dürfen wir nicht kriechen, denn der Mensch hat es verboten, auf dass wir nicht sterben.
  4. Und der Hund sprach zur Ratte: Mitnichten werdet ihr sterben!
  5. Sondern der Mensch weiß, dass, welches Tages ihr aus dem Gullideckel krabbelt, eure Augen aufgetan werden und ihr werdet sein, wie der Mensch selbst, und essen, was vom Supermarkt kommt!
  6. Und die Ratte sah an den Gullideckel und dass er ein lieblicher Gullideckel sei, da er den Weg öffnete zu allen kulinarischen Genüssen des Menschen.
  7. Da setzte sie ihren Fuß vor und trat durch den Gullideckel aus der Kanalisation und so auch ihr Mann, der Ratz, ging mit ihr.
  8. Und sie hörten die Stimme des Menschen: Jiiih, eine Ratte!
  9. Da flohen die Ratten vor der Stimme des Menschen in eine große Mülltonne, versteckten sich und bedeckten sich mit Abfall.
  10. Und der Ratz erkannte sein Weib und sie war trächtig und warf 10 Junge.
  11. Und der Ratz zeugte noch weitere Junge, lebte danach noch 2 Jahre lang, trat in eine Rattenfalle und starb.

Die pfotenschriftlichen Notizen am Buchseitenrand lauteten: "An Ratti, der behauptet, der Hund habe die Wahrheit gesagt, weil Ratz gar nicht an demselben Tag gestorben ist, als er aus dem Gullideckel trat: Für den Menschen sind 2 Jahre wie 1 Tag, insofern ist der Ratz wirklich desselben Tages gestorben und der Hund hat ihn also doch angelogen! Der Hund, der alte Lügner, der Mensch wird ihn richten!"

1. Ratte 3

  1. Und es geschah, dass die Ratten begannen sich zu vermehren in der Kanalisation.
  2. Und der Mensch sah, dass der Ratten Bosheit groß war in den Rohren und alles Gebilde der Gedanken ihres Herzens nur böse den ganzen Tag.
  3. Und es reute den Menschen, dass er die Ratten gemacht hatte in der Kanalisation.
  4. Der Ratten-Prophet sprach: Wehe euch, wenn ihr nicht ablasst, Verderbnis wird über euch kommen, da wird sein Piepsen und Zähneklappern und da gibts keine Kakerlaken mehr.
  5. Aber die Ratten lachten den Propheten aus und trieben nur munter weiter ihr Lotterleben.
  6. Da sprach der Mensch: Die Ratten wollen sich von meinem Geist nicht mehr züchtigen lassen, ich werde zu ihrer Verderbnis das große Besen-Tier mit den 7 Besen und 10 Wasserspritzen runterfahren, auf dessen Stirn folgende Namen der Lästerung stehen: "Nürnberger Stadtreinigung"
  7. Welche Ratte da Weisheit habe, kenne die Zahl des großen Besen-Tieres, denn diese ist N-AU 666.
  8. Zum Propheten aber sprach der Mensch: ich will eine große Reinigungskampagne starten, nimm dein Weib und deine 20 Jungen und ziehe dahin, drehe dich auch nicht um, damit dich mein Zorn nicht träfe.
  9. Und auf den Tag genau kam großes Gerumpel vom Gullideckel hinab, der Gullideckel hob sich und das schreckliche Besen-Tier fuhr in das Rohr hinunter.
  10. Da wurden alle Ratten zu Staub und Schlicker, aus dem sie genommen waren.
  11. Da sprach der Mensch: *würg* was für eine Sauerei. Ich will hinfort für den Rest des Jahres nicht mehr hinunter gehen und die Kanäle reinigen.
  12. Da brachte der Ratten-Prophet und sein Weib dem Menschen eine Kakerlake als Brandopfer dar.
  13. Und der Rauch zog hinauf zum Gullideckel zum lieblichen Geruch für den Menschen.

Auch wenn viel Wahres darin stand und viele der beschriebenen Dinge wirklich passiert sind, so steht noch immer die Frage offen: Wessen Geist (und damit: WER) hat das Buch geschrieben - Ratte oder Mensch?


Wir haben hier eine Rattenwelt und die Ratten meinen, der Mensch hat die Kanalisation extra wegen den Ratten erschaffen, weil sie halt einfach eine Rattenperspektive haben, sich für das Wichtigste auf der Welt halten, überhaupt keine Ahnung haben, was Menschen für einen viel weiteren Horizont haben als sie, die Ratten, und weil sie meinen, am Kanaldeckel sei die Welt so gut wie zu Ende.

So hatten wir früher eine Steinzeitwelt und die Steinzeitmenschen meinten, ein Gott hat die Erde extra wegen ihnen erschaffen, weil sie eine Steinzeitmenschenperspektive hatten, sich für das Wichtigste auf der Welt hielten (und noch halten), überhaupt keine Ahnung haben, was Götter bzw. Weltenschöpfer für einen Horizont haben müssten und weil sie meinten, am Himmelszelt, wo die Sternchen-Lichtlein und die Wölkchen aufgehängt sind, sei die Welt zu Ende. Heute wissen wir, dass das alles Unsinn ist und dass das Universum um ein unvorstellbar Vielfaches größer ist: Es ist ein Witz zu meinen, die Sterne hätten ihren Sinn darin, den Menschen Zeichen zu geben. Es ist derselbe Witz als wenn meine Ratten in der Kanalisation meinen, ein Rohr sei dazu gemacht, damit die Ratte ein Nest hinein bauen kann. Der Mensch hat das Rohr nun wirklich nicht für die Ratten gemacht und so hat die Schöpferkraft des Universums die Sterne garantiert nicht dazu gemacht, dass die paar Ratten auf der Erde, äh, die paar Menschen sich daran orientieren, damit sie sich nicht verlaufen. Das ist blanker Menschengeist, der so etwas meint - kein Götter-Geist. Dazu ist es viel zu kurz gedacht.



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