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Der Januar 1985 war einer der kältesten Monate seit längerer Zeit. Nachts hatte es Temperaturen von bis zu minus 30°C. Aus diesem Grunde probierte ich gar nicht erst, meine tiefgefrorene Ente anzulassen, die bereits seit gut 4 Wochen am selben Platz vor sich hinrostete, da sie schon lange nicht mehr ansprang. Wir mussten uns mit der Straßenbahn begnügen und liefen eilig zur Haltestelle, wobei trotz aller Mützen und Mäntel die Kälte im Gesicht schmerzte und sich der eisige Föhn durch die Kleider biss. Die Strecke bis zur Haltestelle redete keiner etwas, da man vor Kälte Zahnweh bekam, sobald man den Mund aufmachte. An der Haltestelle warteten bereits viele Leute, was nur bedeuten konnte, dass die nächste Straßenbahn bald kommen musste. Wir standen und standen, aber keine Straßenbahn erschien. Wir standen 20 Minuten in der Eiseskälte. Bereits bereute ich, mitgegangen zu sein, aber nun wieder zurücklaufen wollte ich auch nicht, da ja die Straßenbahn jeden Moment auftauchen musste.

Nach ½ Stunde Wartezeit (!) sahen wir schließlich von Weitem die Straßenbahn daherschleichen. Ein Unfall war gewesen, wie wir erfuhren, so dass die Linie 3 eine Zeit lang nicht von der Stelle kam. Die Linie 3 sah verheerend aus: Eine dicke Eisschicht klebte von innen an den Fenstern, so dass man nicht mehr durchsehen konnte, die Leute saßen schnatternd vor Kälte um die kleinen, voll aufgedrehten Öfen, deren Wärme kaum spürbar war. Der Straßenbahnführer hatte 2 Mäntel an und zitterte mehr vor Kälte, als dass er seinen Zug lenkte. Es waren sibirische Zustände.

Bald waren wir am Hauptbahnhof, wo wir in die Linie 6 umsteigen mussten, auf die wir offensichtlich noch warten mussten. Der Bahnhof war wie leer gefegt. Kaum ein Mensch traute sich hinaus in die Kälte und an der gesamten Groß-Haltestelle standen nicht mehr als 10 Leute. Die Linie 6 kam nicht. Vor Kälte zitternd hatte ich nun die Idee, wir könnten uns ja in eine der Telefonzellen stellen, wo ja immerhin eine Neonlampe brannte, die ein bisschen Wärme abstrahlte, nebenbei ist es dort windgeschützter. So standen wir also in der Telefonzelle am Hauptbahnhof und warteten 15 Minuten auf die Linie 6.

Renate's Tochter war mittlerweile unausstehlich geworden. Eng an ihre Mutter und mich geschmiegt (wir kamen uns vor wie ein Grüppchen Pinguine im Eismeer), quengelte sie unablässig und dann bekam sie auch noch Zahnschmerzen und jammerte in einer Tour.

Endlich kam die Straßenbahn, in keinerlei besserem Zustand als die Linie 3. Wir stiegen ein und scharten uns um den vorderen Ofen in der Nähe des Fahrers. Dabei hörten wir den Straßenbahnfunk mit, wo nun plötzlich eine Meldung durchgesagt wurde an alle Züge der Linie 6, vor allem an jenen Zug, in dem wir fuhren: Auf unserer Strecke wäre eine andere Straßenbahn auf die Gegengleise geraten (hä? Wie das?) und die VAG versuchte nun, die Geisterfahrerstraßenbahn von der Gegenfahrbahn an einer Weiche runterzukriegen, aber die Weichen waren so blöd angebracht, dass die falsche Straßenbahn noch eine ganze Strecke zu fahren hätte und unser Fahrer sollte nun nach ihr Ausschau halten und höllisch aufpassen, dass er nicht mit ihr einen Unfall verursachte. Der Fahrer fuhr also langsam weiter, aber von der Geisterfahrerstraßenbahn war kein Anzeichen. So schließlich düste er drauf los, um seinen in Unordnung gebrachten Fahrplan wieder einzuhalten und wollte gerade voll Stoff in eine Kurve brechen, als er hart in die Klötze stieg. Die Leute fielen um und es war ein ziemliches Durcheinander. Renate's Tochter fing an zu weinen und zu schreien und überhaupt war es ein reines Chaos: Vor uns stand in der Kurve die Geisterfahrerstraßenbahn und blockierte die Gleise, so dass nun weder sie, noch unsere Linie 6 weiterkamen. Aus diesem Grund mussten alle Fahrgäste aussteigen und zu Fuß weiterlaufen oder auf den Bus warten, der zu kommen versprochen war.

Da Renate nur noch 2 Haltestellen weiter wohnte, entschieden wir uns, zu laufen, da wir dabei wenigstens in Bewegung waren und nun wirklich keine Lust hatten, auf den Bus vielleicht noch einmal eine ½ Stunde zu warten.

Durch die beißende Kälte rannten wir teilweise, während nun Renate's Tochter wirklich nicht mehr auszuhalten war, da sie nun kalte und nasse Füße, Zahnweh und Kopfweh und weiß Gott, was für Weh noch alles zu haben vorgab und unablässig quengelte und jammerte, dann wieder stehen blieb und lauthals weinte - es war unmöglich!

Endlich nun kamen wir an bei Renate und scharten uns um den auf höchste Stufe aufgedrehten Ölofen. Ich übernachtete bei Renate, da ich es nicht mehr fertigbrachte, in der mörderischen Kälte wieder heimzufahren.

RAFA, 1987

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