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Zeitreise

In Vampire Wars, meinem Lieblings-Computerspiel, stand ich auf einer orginellen Punktezahl, nämlich hatte ich 1.961 Punkte. "Ha, es ist mein Geburtsjahr" fiel mir dazu ein "und jetzt such ich mir einen einfachen Gegner und werde mal älter..."

Ich suchte mir einen Gegner aus und klickte auf "fight". Erwartungsgemäß erntete ich die Meldung "winner" und dass ich nun schon 3 Jahre alt geworden war, nämlich 1.964 Punkte hatte. Leider war es der einzige leichte Gegner in der Runde. Ich wagte kein Risiko, denn wenn mich einer schlug, konnte ich mal ratzfatz nicht mehr auf der Welt sein!

Am nächsten Tag fand ich wieder einen geeigneten Gegner, schlug ihn und wurde tatsächlich schon 14 Jahre alt: 1.976 Punkte!

In der nächsten Runde kam ich tatsächlich bis in meine geliebten 80er-Jahre, aber dann hatte ich mich verklickt: Hui, da haute mich einer gleich runter in meine Kindheit und schon war ich nur noch auf 1.968 Punkte! Jimi Hendrixens Todesjahr.

Weil ich keine Energiepunkte mehr hatte, beendete ich für heute das Spiel.

Als ich mich am nächsten Tag einloggte, stellte ich fest, dass mich in Abwesenheit jemand angegriffen hatte und mich um weitere 10 Punkte geschlagen hatte! Jimi Hendrix lebte wieder, aber ich war gar nicht mehr auf der Welt! Schnell holte ich das aber wieder auf und konnte im Fight tatsächlich wieder 12 Jahre alt werden.

In den nächsten Tagen hielt ich mich tapfer. Als ich die Punktezahl 1.990 erreicht hatte, überlegte ich, ob ich mich nicht schlagen lassen sollte. Es war doch so schön vor dieser Zahl herumzuschwelgen. Ich spielte aber weiter, kam dem Jahr 2000 sehr nahe und am nächsten Tag schaffte ich es sogar und erreichte es.

Ich kam weiter bis in unsere Tage. In kürzester Zeit hatte ich 2.012 Punkte überboten und segelte weiter in die Zukunft.

Die Tage drauf war ich dann schon auf 2.030 Punkte und höher: ob ich da überhaupt noch lebte? Ich kam schließlich auf 2.061 Punkte. Also entweder bin ich jetzt 100 Jahre alt oder ich bin längst gestorben.

Es ging weiter in die Zukunft, 2.080 – vor 100 Jahren begannen meine geliebten 80er Jahre – 2.090, 2.100... bald kam ich in Höhen, die ich nun nicht mehr mit Jahren identifizieren wollte.

Aber dann – dann – schlug mich wieder so einer! Ich segelte runter ins 20. Jahrhundert! Erschrocken suchte ich einen Gegner, klickte auf "fight" und hatte mich verschätzt: Er war stärker und ich verlor noch mal 15 Punkte! Wenn ich jetzt nicht aufpass, bin ich gleich wieder in meiner Kindheit!

Ich hatte kein Glück, nur ungeeignete Gegner ... und da passierte es: Ich passierte das Jahr 1.961 und war gar nicht mehr auf der Welt!

Aber meine Mutter lebte noch. Sie war jetzt 15 Jahre alt, denn ich hatte 1.954 Punkte. Meine Pechsträhne riss nicht ab und ich verlor an Punkte, kam sogar unter 1.945, wir haben jetzt Krieg!

Ich kämpfte. Mit Vorsicht, Strategie und ein paar Tricks konnte ich wieder ein paar Punkte in die Zukunft siegen. Aber dann erwischte es mich wieder... bald war meine Mutter gar nicht mehr auf der Welt! Meine Oma war ein junges Mädchen und die Nazis waren noch gar nicht an der Macht, denn ich hatte 1.930 Punkte. Ich segelte weiter runter in die 20er Jahre, dachte an die Charleston-Mode... aber dann erwischte ich einen schwachen Gegner und katapultierte mich wieder Richtung Zukunft. Ich kämpfte tapfer und erreichte, dass meine Mutter wieder lebte und sogar schon zur Schule ging.

Am nächsten und übernächsten Tag errichte ich im Spiel tatsächlich wieder ein paar Punkte und nun hatte ich schon 1.960, meine Mutter war schwanger – und "winner!" – jaaaa, ich war wieder geboren! Nach ein paar Punkten ging ich wieder zur Schule, es kamen die Hippie-Jahre, ich schlidderte in die 70er, aber richtig hoch kam ich nicht mehr, denn da stellte sich mir ein Gegner und schlug mich fürchterlich, ich verlor Punkte an Punkte und loggte mich schnell aus.

In den Tagen drauf hatte ich nur noch Pech. Ich verlor reihenweise an Punkten. Grad so um die Jahrhundertwende hatte wir es jetzt, die Titanic war gerade in Bau, meine Oma in Planung. Meine Urgroßmutter lernte meinen Urgroßvater kennen, aber zur Familie kam es nicht, denn ein Gegner schlug mich erneut und ich segelte tief runter ins 19. Jahrhundert! Und das, obwohl ich schon einmal gänzlich jenseits meiner Lebenszeit in ferner Zukunft geweilt hatte!

Als ich mich heute einloggte, war ich auf 1.790 Punkte! Ich bin ja fast im Mittelalter! Mit Ach und Krach konnte ich mich auf 1.815 retten. Sigmund Freud ist noch nicht einmal geboren.
15.06.2012


Business

Er war ein Outlaw.
Einer ganz außen am Rande wirklich sämtlicher Gesellschaft.
Niemand – und tatsächlich niemand – wollte noch mehr mit ihm zu tun haben, als unbedingt nötig.
Es war eine Schande, ihn nur zu kennen.

Wenn man sein Image doch "waschen" könnte, so dass er einen 2. Gebrauch fände...!

Es war wirklich schon lange her, da hatte er noch den Hauch von Ehre in den Knochen. Damals hatte er sich sogar noch geschämt, nur seine eigene Wäsche zu waschen, wenn sie schmutzig war und sich nicht einfach neue zu kaufen, so wie es alle anderen jeden Tag machten. Die Leute sollten nicht sehen, wie verdammt arm er war.

Obwohl damals am Eingang des Waschsalons noch dick ein Schild hing, dass die gefilmten Gesichter verpixelt wurden, bevor die Livecam die Pics auf Facebook übertrug, hatte einer seiner "Freunde", der noch nicht einmal je 1 Mail mit ihm gewechselt hatte, die Software gehackt, die Verpixelung entfernt, ihn in Sekundenschnelle identifiziert und seinen Realnamen auf sämtlichen Social-networks veröffentlicht. Dieser "Freund" hatte sich damals eine goldene Nase daran verdient, denn für jedes "gefällt mir" im private-identify-level kassierte man immerhin 10 Bonus-Punkte! – und ER war dafür geliefert!

Aber war der Ruf erst ruiniert... ?

In den Ärmsten der Armen hatte er nun SEIN Business gefunden: In der Waschmaschine lagen T-Shirts, die er für seine Kunden nun schon zum 2. Mal wusch, anstelle dass die Besitzer sie wegwarfen. Längst hatte er sich einen Fake-Account auf eBay erstellt, damit er anonym aus Übersee das Waschmittel ersteigern konnte. So etwas wie Waschmittel gab es eh schon seit mehreren Jahren nur noch aus 3.-Welt-Ländern zum Sofort-Kauf.

Zwischen 23 und 24 Uhr fuhr er tagtäglich mit seinem Jaguar am "M-W-P" (Emm-Wie-Pie) vor, etwas abseits der Kläranlage, beim Recyclinghof gleich rechts ums Eck. Beim Merkel-5-Amt, das für diejenigen zuständig war, die aus dem Hartz-4-Modus fielen, hatte er vergeblich einige Male Antrag gestellt auf ein etwas gesellschaftsfähigeres Auto, aber selbst über den Spendenfonds "social ressources" wurde ihm kein besserer Wagen finanziert. Nicht einmal die Klimaanlage funktionierte da vollautomatisch! Manchmal fürchtete er, man würde ihn mit dieser Billigkarre aus dem Verkehr ziehen, aber bisher war er durchgekommen.

Kurz vor dem Klärbecken 25 standen die Einweg-Robots mit den Wäschebeuteln Schlange am "M-W-P" – Mobile-Wash-Point. Zugegeben: Die meisten seiner Kunden waren wirklich die allerletzten Assis in der Stadt! Aber es war nun einmal sein Business geworden und wenn man mit dieser Drecksarbeit Cash verdienen konnte? ...irgendwann fragt man dann einfach nicht mehr nach dem Hintergrund.

Der Wagen war voll, die Robots hatten alle ihre Pins für die abgegebenen Wäschebeutel erhalten – er fuhr vorher noch schnell tanken. Mei, wenn das sein Vater gesehen hätte, dass er noch einen betankungsbedürftigen Wagen fuhr! Schnell überprüfte er die Anonymisierung der car-internen Web-cam. Er wusste, dass diese andauernde Wiederholung der Anonymisierungs-Prüfung ein Symptom seiner Zwangsneurose war, aber er konnte sich natürlich keinen Psychiater leisten.

Er nahm die Abkürzung über den ausrangierten U-Bahn-Tunnel, in dem ihm die Spy-Flies nicht folgen konnten, da sie so unterirdisch die Verbindung zur Sendestation verloren. Über den Behindertenaufzug – sein Wagen passte gerade so in die Kabine, da sogar die Rollstühle heutzutage breiter ausgestattet waren als seine Schrottkarre – peilte er sich bis zur Ausfahrt vor dem Waschsalon.

Während die Waschmaschinen noch schleuderten, dachte er eine Weile an die armen Kinder aus Indien: Warnmeldungen wie "Wäsche waschen kann für indische Familien den finanziellen Ruin bedeuten!" oder "Wäsche-Waschen ist Mord! Waschen Sie keine Wäsche! Mit jedem neu gekauften T-Shirt sichern Sie den Arbeitsplatz eines Kindes in Indien!" appellierten an das Gewissen der Benutzer jeder einzelnen Trommel.

Ja, er wusste das ja!

Wenn die Leute ihre Wäsche wuschen, anstelle sich im Billigdiscounter neue zu kaufen, dann ging natürlich in der Kleiderindustrie der Umsatz empfindlich zurück, was das Aus bedeutete für so manches arbeitende Vorschulkind in Indien! Wenn sie nicht in der Näherei arbeiten konnten, wovon sollten dann ihre Familien den Reis fürs tägliche Leben nehmen? Viele Kinder, deren Näher-Jobs nicht einmal die Gewerkschafter mehr retten konnten, landeten sogar im Callcenter! Was das bedeutete, wusste ja jeder: vorprogrammierter Burnout und am Ende – Suizid!

Gegen Gewissensbisse hatte er clevererweise stets 2 Fläschchen "Orangensaft" im Gepäck. Auf offener Straße sah er es ja ein, aber nicht einmal im Waschsalon war es heutzutage mehr erlaubt, Alkohol zu sich zu nehmen. Daher hatte er seine Flachmänner mit dem Hochprozentigen mit "Orangensaft"-Aufklebern präpariert. Zum Glück konnte er die Aufkleber von der Steuer absetzen, da er sie während seines Aufenthalts im Waschsalon ja quasi "geschäftlich" nutzte.

Nicht auszudenken, was die Leute von ihm gehalten hätten, würden sie wissen, auf welch schändliche Weise er seinen Lebensunterhalt verdiente: Er wusch Wäsche für diese asozialen Penner, die ihre Kleider doppelt, ja oft sogar mehrmals benutzten!

Das war echt das Letzte, was für eine Sauerei! Logisch, dass sich diese Asozialen nicht einmal ihre persönlichen Robots in den Waschsalon schicken trauten!

Er hatte die Mobile-Wash-Points erfunden. Unidentifizierbare Einweg- Robots konnten dort anonym bei ihm die Dreckwäsche ihrer Masters abgeben und er, der Outlaw, führte die Reinigung durch und lieferte die am Ende übrig gebliebenen Kleidungsstücke, die nach dieser 1. oder gar 2. Wäsche noch nutzbar waren, bei den Robots der Kunden wieder ab. Zum Glück war durch eine Pin-Codierung der Wäschebeutel die Anonymisierung seiner Kunden gesetzmäßig gewährleistet.

Manche seiner Kunden sammelten die Wäschestücke sogar aus dem Müll der Leute! Sie scheuten sich weder davor, der Müllabfuhr den Müll zu stehlen, noch vor der Diskriminierung, die man ihnen als Konsum-Boykotteure entgegen brachte, wenn man sie denn bei der Wiederverwertung erwischte.

Und er – der Hehler – war noch tiefer gesunken: Er wusch diese Dreckwäsche.

Mit leerem Blick lud er die frisch gewaschene Wäsche in seinen Jaguar und fuhr zurück zum Mobile-Wash-Point. Nach Pin-Nummern sortiert verstaute er die Wäschebeutel in den Containern. Morgen zwischen 23 und 24 Uhr würden die Robots kommen und die Chiffree-Sendungen entgegennehmen. Tatsächlich würden dann seine Kunden die Kleidungsstücke anziehen, die sie gestern schon getragen hatten!

Voller Selbsthass ersäufte er seinen Ekel in "Orangensaft". Er wünschte sich, ein Wäschestück zu sein, dem man einen 2. oder gar 3. Start ermöglichte.
04.07.2012



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